Freitag, 16. Oktober 2009

Pressebericht #10: Briefe, die Grenzen überschrieben

(Marc Lippuner, Freies Wort, 16. Oktober 2009)

Als ich im Mai mein Stipendium hier im Künstlerhof antrat, bat ich Sie, in Ihren Schubladen zu stöbern, um Briefe, Postkarten oder sonstige Mitteilungen zur Verfügung zu stellen, die in der Zeit zwischen 1961 und 1989 über die innerdeutsche Grenze geschickt wurden. 
Meine Zeit hier ist nun bald zu Ende, deshalb möchte ich diese Dokumente, die über Jahre sorgsam bewahrt bzw. zwischen den Seiten eines Kochbuchs oder in der eigenen Stasi-Akte wiedergefunden wurden, nun schlussendlich in einer Lesung vorstellen.
Ihre Dokumente zeigen auf, dass der private Postverkehr zwischen DDR und BRD von unschätzbarem Wert ist, um einen Einblick in das alltägliche Leben mit den kleinen Problemen und persönlichen Schicksalen, in das Leben jenseits der großen politischen, geschichtsbuchwürdigen Ereignisse auf beiden Seiten der Grenze zu bekommen. Die meisten  vorliegenden Briefe sind aus dem Westen: Fragen nach Erhalt von Paketsendungen, Bitten, sich um Aufenthaltsgenehmigungen zu bemühen, Befindlichkeiten, Anekdoten der vergangenen Tage, Klatsch und Tratsch. Die aus der DDR in die Bundesrepublik geschickte Post liegt fast ausschließlich in Kopien des MfS vor und ist, schon weil sie abgeheftet wurde, selbst wenn der Inhalt nichtig erscheint, von politischer Relevanz. Die Bitte um ein paar Dosen Haarspray, der Gedanke, sich mit dem Freund aus Nürnberg am Balaton zu treffen, die Frage, wann der wegen Republikflucht inhaftierte Lebensgefährte wieder auf freien Fuß kommt - in den Briefen werden komische und tragische Splitter unterschiedlichster Biografien sichtbar, die den bisher zu wenig dokumentierten Blick in private Lebenswirklichkeiten des geteilten Landes ermöglichen.
Am Freitag, den 23. Oktober, sollen die Briefe um 19.30 Uhr im Roten Ochsen vorgestellt werden. Um daraus eine Veranstaltung zu machen, die der Vielfalt dieser Dokumente gerecht wird, und um die Adressaten unterscheiden zu können, vor allem jedoch, um die Lesung als ein Projekt dieser Stadt zu verankern, suche ich Schleusinger Bürger und Bürgerinnen von jung bis alt, die einen oder mehrere der Briefe im Künstlerhof vorlesen. 
Der Aufwand ist denkbar gering, deshalb hoffe ich sehr, Sie melden Sich bei mir (55631). Ich lasse Ihnen die Abschrift des ausgewählten Briefes zukommen, wir vereinbaren einen Termin, um den Text einmal in Ruhe zusammen zu lesen und treffen uns am 23. Oktober vor der Veranstaltung mit den anderen Lesern, um das Organisatorische festzulegen. Seien Sie Teil des Projekts, eines Projektes das direkt mit Schleusingen zu tun hat. Vielen Dank.

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