Mittwoch, 27. Mai 2009

Pressebericht #4: Eine Einladung zum Spiel oder Provinz als Chance

Theaterprojekt | Am Freitag beginnen die Proben / Laiendarsteller gesucht

(Karin Schlütter / Marc Lippuner, Freies Wort, 27. Mai 2009)

Marc Lippuner, Regisseur und Stipendiat im Schleusinger Künstlerhof, schreibt an dieser Stelle in loser Folge über sein Projekt SCHLEUSINGEN20NULLNEUN. Heute lädt er zur ersten Probe eines Theaterstücks ein:


Ich wohne nun seit drei Wochen in Schleusingen, habe die Hektik Berlins ein bißchen abschütteln können, die Stadt und das Umland erkundet, die neue Orgel gehört, ich kroch in Abrisshäusern rum und stieg auf neue Dächer, ich war in Meiningen im Theater und bei der Theatergruppe im Gymnasium, ich jogge alle zwei Tage am Wassergraben Richtung Hinternah unter der Autobahn durch und obwohl ich fast täglich im Malanders eine heiße Schokolade trinke, habe ich es noch nicht geschafft, alle Sorten durchzuprobieren. Ich habe viele nette Leute kennen gelernt und einige ihrer Geschichten, ich bin neugierig auf diese Stadt und ihre Menschen und finde Provinz herrlich aufregend!
Anton Tschechows "Drei Schwestern" hingegen haben das Leben in der Provinz satt. Selbst Geburtstagspartys sind nur noch langweilige Pflichtübungen. Die Menschen um sie herum stehen, ihrer Meinung nach, still: Eingerichtet in ihrem Umfeld, das aus Familie, Heim und Arbeit besteht, obwohl es nicht einmal genügend Arbeitsplätze gibt. Die Schwestern wollen aus dieser Enge weg, nach Moskau - in die große, weite Welt - fliehen, in der Hoffnung, dort ihre Sehnsucht nach einem erfüllten Leben stillen zu können. Und sie werden - bis auf eine, die jüngste - die Kleinstadt nie verlassen.
Die Frage nach dem Hiersein und dem Gernehiersein, das Fantasieren über mögliche private und berufliche Perspektiven, die Überlegungen, ob Provinz als Chance oder als Fluch zu begreifen ist, das sind die Themen, die mich an den "Drei Schwestern" hier in Schleusingen interessieren. Deshalb möchte ich "Drei Schwestern" mit Ihnen auf die Bühne bringen. Es soll jedoch nicht darum gehen, das durchaus moderne, thematisch aktuelle und überaus witzige Stück so zu zeigen, wie Tschechow es sich vor über 100 Jahren gedacht hat. Vielmehr soll es ein Gerüst bieten, in das Ihre Lebenserfahrungen, Träume und Perspektiven gewoben werden, um so eine Version zu entwickeln, die mit dieser Stadt und den Menschen dieser Stadt direkt zu tun hat.
Die Lese- und Konzeptionsprobe findet am Freitag, den 29. Mai 2009, um 19 Uhr im Künstlerhof Roter Ochse in der Elisabethstr. 8 statt, und ich lade Sie alle herzlich dazu ein, egal, ob Sie spielen wollen oder sich anderweitig an der Entwicklung des Stücks beteiligen möchten, egal ob sie 15 sind oder 95: Lebenserfahrungen und Träume haben Sie doch alle. Und ich möchte wissen, was Ihr Moskau ist, das Ziel Ihrer Träume, ob Sie es erreicht haben oder vielleicht nie mehr erreichen werden. Ich freue mich auf Freitag.

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